top of page

Beitrag zu Ehren aller Mechaniker dieser Welt - sowohl der guten als auch der schlechten

Gesponsert von Reto (und Beni, danke für die Solidarisierung), der sich die Zusammenarbeit mit Mechanikern gewohnt ist und sich über unser technisches Unwissen mit Sicherheit amüsieren wird.


Als wir Willy - unseren Minivan - kaufen, ist er ein gestandener 19-jähriger Kanadier, der rund 180‘000 Kilometer auf dem Buckel hat. Da und dort hat er ein Wehwehchen: einige Dellen auf der Seite, einen rostigen Bauch und wenn wir schneller als 80 km/h fahren, beginnt es leicht holprig zu werden. Aber er hat eine funktionierende Klimaanlage und er wurde gut gepflegt; schliesslich sind Juan und Guillermo - die früheren Besitzer - Automechaniker.


Dennoch: Kaum zwölf Stunden nach unserem Kauf stehen wir auf dem Parkplatz einer panamaischen Tankstelle. Willys Schaltgetriebe funktioniert nicht mehr. Da Guillermo sich bereiterklärt, die wenigen Kilometer, die wir bereits zurückgelegt haben, auf sich zu nehmen und sich das Problem anzuschauen, nutzen wir die Zwischenzeit, die gesamte Bettwäsche zu waschen. Mit einem Basteletui in der Hand (Guillermo verdiente sich sein Geld auf seinen Reisen unter anderem als Handwerkskünstler) kommt Guillermo an, schaut kurz unter die Motorhaube und macht sich ans Basteln. Mittels Mini-Bohrmaschine wird aus einer 1-Balboa-Münze plus Draht ein Ersatzteil, das als neues Verbindungsstück zwischen Kupplung und Schaltsystem dient. Listo! Knappe zwei Stunden später verabschieden wir uns zum zweiten Mal von Guillermo. Diesmal das letzte Mal.


Willy jedoch macht uns nicht zum letzten Mal Sorgen. In Panama stehen wir, umzingelt von einer Gruppe Panameños beim Feierabendbier, am Strassenrand, weil es aus den Lüftungsschlitzen qualmt (was sich jedoch als harmlos herausstellt). Mit Gontzal, unserem baskischen Reisegspändli, müssen wir knapp drei Wochen nach unserem Kauf, zum ersten Mal zum Mechaniker. Obwohl uns Guillermo versicherte, dass die Bremsklötze noch gut sind; das Pfeifen beim Bremsen deutet auf das Gegenteil hin. „Halb so schlimm“, denken wir in der Gewissheit, dass uns Guillermo Ersatz-Bremsklötze mitgegeben hat. Als wir dem Mechaniker die Ersatzteile hinstrecken, lacht er bloss. Auch diese sind bereits abgefahren.


Einige Wochen später, in der hügeligen Kaffeeregion Nicaraguas, hören wir zum ersten Mal kochendes Kühlwasser. Wir parken am Strassenrand und warten bei offener Motorhaube und „Ciao Sepp“ bis Willy sich abgekühlt hat. Dieselbe Szene wiederholt sich einige Tage später in El Salvador: zweimal müssen wir an diesem Tag eine Pause einlegen, weil es unter der Motorhabe brodelt. Wir stellen zwar eine bräunliche Verfärbung des Kühlwassers fest, jedoch schätzen alle zu Rate gezogenen Mechaniker die Situation als nicht gravierend ein. Ausserdem wird die Fahrt zusehend holpriger, so dass wir wenig später abermals in einer Werkstatt stehen. Ein Mechaniker schaut sich das Auto an, zeigt auf die Verformungen der Vorderräder und rät, diese auszutauschen. Nach wenigen Tagen des Preisvergleichs - ja, es gibt immense Unterschiede - trägt Willy neue Vorderschuhe. Doch auch die Hinterräder lassen zu wünschen übrig: Sowohl am Grenzzoll zwischen Nicaragua und Honduras als auch am Strand in El Salvador (siehe Blogbeitrag „37 Gründe für 37 Tage El Salvador“) haben wir einen Platten. Spätestens Guatemalas Strassen beweisen uns, dass die örtliche natürliche Abnutzung um ein vielfaches höher ist als auf mitteleuropäischen Strassen. Wir hören auf zu zählen, wie oft Willy Schläge und Kratzer in den Unterboden abkriegt. Als wir in einer engen Gasse eines ländlichen Dorfes einem Bus ausweichen müssen, befinden wir uns auf einen Schlag einen halben Meter weiter unten. Erst als ich die Tür öffne und auf die Strasse treten will, realisiere ich, dass wir mit dem rechten Vorderrad in einem offenen Abwasserschacht stecken. Während wir noch verloren rumstehen, hat sich bereits eine Gruppe Männer zusammengefunden: Gemeinsam hieven wir Willy auf die sichere Strasse zurück.


„Alles noch im Rahmen für ein zwanzigjähriges Auto“, spricht mir mein hoffnungsloser Optimismus Mut zu. Bis wir in der guatemaltekischen Kleinstadt Palin - einen Katzensprung von Guatemala Stadt entfernt - ratlos auf dem Parkplatz eines Supermarkts stehen. Die Anhöhe, auf der wir uns nun befinden, hat Willy zugesetzt: Seit wir von der Hauptstadt losgefahren sind, hat sich der Motor viel zu schnell erhitzt. Dann ist die Steuerung ausgefallen und schliesslich stellte der Motor ab. Mit Ach und Krach und der Hilfe einiger freundlicher Guatemalteken schaffen wir es zum einzigen Automechaniker Palins. Er ist der Überzeugung, dass das Problem an einem defekten Thermostat liegt. Und dieses könne man ganz einfach ausbauen. Ohne Ersatz. Da wir ungläubig reagieren, versucht er uns zum wiederholten Mal zu erklären, dass ein Thermostat nur in kalten europäischen Ländern dienlich sei, nicht aber in den warmen Ländern Zentralamerikas. (Ginge es nach ihm, hätte wohl kein einziges Auto Zentralamerikas ein Thermostat.) Unser Misstrauen hilft nichts; das Thermostat wird ausgebaut und als Beweis, dass es tatsächlich kaputt ist, drückt er auf der Feder herum und beteuert, dass sich das Ventil nicht öffnen lässt (wie wir später herausfinden, ist das normal. Das Ventil öffnet sich nur ab einer bestimmten Temperatur). Auf der Probefahrt überhitzt sich Willy auch ohne Thermostat nach wenigen Minuten, weswegen wir zum Kühler-Spezialisten geschickt werden. Während dieser das gesamte Kühlsystem reinigt, sitzen wir in der kleinen Mall - dem einzigen Ort mit Internet - und lesen in Foren, schauen Youtube-Tutorials und kontaktieren Guillermo, um das Innenleben eines Autos beziehungsweise die Funktionsweise eines Kühlsystems plus Motor ansatzweise zu begreifen. Mit ernüchterndem Resultat: Da unser Motor nun schon zum dritten Mal überhitzte, besteht die Chance, dass die Dichtungen der Zylinderköpfe im Motor beschädigt sind. Mit klopfendem Herzen kehren wir am Abend zur Werkstatt zurück, wo uns der Mechaniker eine Fotoserie unseres verdreckten Kühlsystems präsentiert. Da die Ventile so sehr mit Strassenstaub verschmutzt waren, konnte das Kühlwasser nicht mehr zirkulieren, weshalb der Motor überhitzte. Wir hoffen inbrünstig, dass der Motor keinen Schaden davongetragen hat, als sich Patrick ins Auto setzt, um eine Probefahrt zu wagen. Unwillkürlich muss ich an die Papstwahl denken, als ich sehe, wie weisser Rauch aus dem Auspuff steigt. Im Gegensatz zu Katholiken bedeutet weisser Rauch für uns keineswegs Grund zur Freude: Wir haben ein Motorenproblem. So viel habe ich an diesem Nachmittag in der Mall gelernt. Spätestens als ich Willys grüne Kühlmittelspur auf der Strasse sehe, ist klar, dass die Zylinderkopf-Dichtungen beschädigt sind und sich eine hübsche Kühlwasser-Öl-Mischung im Motor befindet. Willy wird für die nächsten zwei Wochen in Palin bleiben und wir entscheiden uns nach einer Nacht beim Automechaniker, in El Paredon - einem Surfort - zu warten bis Willy wieder flott ist. Nach einer Woche Surf- Yoga- und Chillsessions auf dem Campingplatz eines lieben Peruaners kehren wir voller Hoffnungen nach Palin zurück. Nur um enttäuscht zu werden: Weitere sechs Tage steht Willy in der Garage und wir mit ihm. Das grösste Problem liegt darin, dass Chevrolet-Ersatzteile in Guatemala so gut wie nicht erhältlich sind. Sprich: Es wird gebastelt. In den nächsten Tagen wird die Mechanikerfamilie unsere Gastfamilie. Wir teilen Essen, Klo, spielen mit Kleinkind und Babyhündchen. Die restliche Zeit überbrücken wir, indem wir in Guatemala Stadt unser Visum verlängern, in Nachbarsdörfchen wandern und auf dem Vulkan Pacaya Marshmallows braten. Am fünften Tag unseres Wartens scheint Willy bereit zu sein. Doch bei der Probefahrt stellt sich heraus, dass der Motor - anstatt im Standgas weiterzulaufen - abstellt. Auch am nächsten Tag bleiben die Probefahrten im wahrsten Sinne des Wortes holprig: einmal bremst Willy nicht richtig, einmal klemmt das Gaspedal. Wir werden den Verdacht nicht los, dass wir eher bei einem Autobastler als bei einem Automechaniker gelandet sind. An Tag sieben, nachdem Willy die Probefahrt bestanden und wir die saftige Rechnung bezahlt haben, kann die Reise endlich weitergehen. Um unser Reisemaskottchen, einen bolivianischen Kondor, gnädig zu stimmen, opfern wir ihm ein Stück Schweineschwarte. Vergeblich. In San Antonio Suchitepéquez, rund 100 Kilometer von Palin entfernt, knallt es. Da keiner der wenigen Mechaniker gerade Zeit hat, sich das Problem anzuschauen (es ist Muttertag), übernachten wir an einer Tankstelle. Am nächsten Tag wird Willys Motor abermals freigelegt. Und langsam aber sicher bestätigt sich unser Verdacht, dass wir in Palin beim schlechtesten Automechaniker Guatemalas landeten: Sowohl eine Schraube der Motorenabdeckung als auch jene eines Ventils im Motor sind rausgefallen. Da diejenige der Abdeckung zu fest angezogen wurde, brach zudem ein Stück Motor ab; sprachlos stehen wir da, nicht wissend, ob wir lachen oder weinen sollen. Immerhin haben wir Glück im Unglück: Für den jetzigen Automechaniker scheint nichts ein Problem zu sein. Der Motor wird zusammengeschweisst. Die Arbeit an den Ventilen wird jedoch länger dauern. Abermals beschliessen wir, mit ÖV weiterzureisen und die Wartezeit in und um Quetzaltenango zu verbringen. Eine weise Entscheidung: Das Umland von Quetzaltenango ist wunderschön. Bei den Ruinen von Abaj Takalik werden wir Zeugen von Maya-Zeremonien, im Museum Ixkik‘ führt uns eine Einheimische in die farbenprächtigen Textilien Guatemalas ein. Wir erklimmen den höchsten Berg Guatemalas, erspähen die wunderschönen, leuchtend-grünen Quetzals und lernen beim Plaudern mit Einheimischen viel über die Region und ihre Geschichte. Nach fünf Tagen meldet sich José mit guten Neuigkeiten: Willy ist wieder flott. Wir bleiben jedoch - selbst nach der reibungslosen Probefahrt - misstrauisch.


Doch tatsächlich, die nächsten Tage macht Willy keine Probleme. Ohne Mühe klettert er zu den heissen Quellen Fuentes Georginas und fährt uns durch Guatemalas riesigen Gemüsegarten, so dass wir die Vulkane Zunil und Santiaguito besteigen können. Erst nach drei Tagen am Lago Atitlan, in welchen wir die schöne Hippie-Atmosphäre geniessen, spazieren, im See baden und uns durch Leckereien kosten, scheinen wir ein neues Problem zu haben: die Autobatterie ist leer. Da wir Willy im engen Hof eines Hostels parkiert haben, reicht der Platz nicht aus, um zu überbrücken. Also warten wir auf den einen Mann im Dorf, der eine Powerbank zur Starthilfe besitzt. Das offene Beifahrerfenster bei aufkommendem Gewitter fühlt sich an wie ein zusätzlicher Schlag ins Gesicht: natürlich ist auch der elektrische Fensterheber von der leeren Batterie betroffen. Als der Mann mit der Powerbank erscheint, ist der Beifahrersitz tropfnass. Aber: Wenige Minuten später ist die Batterie wieder in Betrieb und wir können losfahren. Am nächsten Tag schon wiederholt sich die Szene. An der Tankstelle putzt Patrick unseren Stauraum und den Autoboden; kaum ist er fertig, lässt sich Willy erneut nicht mehr starten. Zum Glück klappt das Überbrücken diesmal unkompliziert und schnell. Von nun an schonen wir die Batterie: abends gibts weder Licht noch Ventilator; Handys werden nur noch während der Fahrt geladen. So durchqueren wir Guatemala, Honduras und reisen durch den guatemaltekischen Peten nach Belize und schliesslich bis nach Mexiko. Willy macht, abgesehen von den üblichen Kleinigkeiten wie Kühlwasser nachfüllen, Reifendruck regulieren und defekten Standlichtern, keine Probleme mehr.


Bis auf ein letztes Mal. Vom tropischen Dschungel nahe der guatemaltekischen Grenze fahren wir rund 1500 Höhenmeter in den Nationalpark Lagunas de Montebello. Willy macht einen guten Job, so dass wir am Nachmittag in Tziscao ankommen und genug Zeit für eine Joggingrunde, Bierchen und Spaghetti-Znacht am See bleibt. Am nächsten Morgen schleichen wir uns, nach einem ausgiebigen Bad im See, auf den eigentlich gesperrten Fünf-Seen-Wanderpfad. Wir sind überwältigt: Nach den steilen Kletterstiegen offenbart sich uns eine Aussicht auf tiefblaue Lagunen. Als wir am Nachmittag zum Parkplatz zurückkehren, lässt sich Willy nicht mehr starten. Die lokale Polizei, die vor Ort ist, überbrückt; doch als auch der dritte Versuch misslingt, schleppen sie uns zum Parkeingang und versprechen uns, am nächsten Tag nach uns zu sehen. Aller grundsätzlicher Skepsis zum Trotz: Dass es auch gute Polizisten gibt in Zentralamerika wird uns in den nächsten zwei Tagen bewiesen. Rührend schauen die Patrouillen nach uns, spielen Taxiservice zwischen Dorf und unserem Schlafplatz, bringen Trinkwasser und organisieren uns Beto, den besten Elektriker überhaupt, als uns unser Mechaniker im Stich lässt. Denn: Am nächsten Morgen sind Patrick und ich früh wach und fahren per Anhalter ins nächste Dorf. Zusammen mit dem Mechaniker kehren wir zu Willy zurück und rasch ist klar, dass der Generator kaputt ist. Um die passenden Werkzeuge zu holen, müsse er kurz in die Werkstatt, sei aber gleich zurück, verspricht er. Wir warten. Zwei Stunden, drei Stunden, vier Stunden - vergeblich. Als die nächste Patrouille aufkreuzt, klagen wir den Polizisten unser Leid. Ihr Freund Beto ist sofort zur Stelle, schaut sich den Generator an, reist am nächsten Morgen in die nächstgrösste Ortschaft um Ersatzteile zu kaufen und am Nachmittag haben wir unseren funktionierenden Willy zurück.


In den folgenden drei Wochen geniessen wir Willy ohne Panne, bevor wir ihn schweren Herzens (für Mirjam; für Patrick ist es auch eine Erleichterung) verkaufen. Acht Monate lang war er unser liebes Zuhause, das uns sicher von einem Ort zum nächsten brachte. Acht Monate durften wir an den schönsten, abgeschiedensten und skurrilsten Orten schlafen - Willy sei Dank. Doch davon soll ein nächster Beitrag erzählen.





83 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen
bottom of page