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The dogdays are over oder für eine Freundin, mit der ich mich stets stark fühle

Vor einigen Wochen hat mich eine enge Freundin gefragt, wie wir das eigentlich so machen mit den streunenden Hunden. Da sie selbst viel auf Reisen war, weiss sie, dass es mancherorts zu unangenehmen Situationen mit aggressiven Hunden kommen kann. Im Sommer war sie mit ihrer Familie in Georgien: „Die Streuner waren so lieb, dass sogar die Kinder sie streicheln konnten“, erzählt sie begeistert am Telefon. Tatsächlich sind auch wir beeindruckt von der Freundlichkeit der georgischen Strassenhunde. Ein Kraulen hinter den Ohren, oft auch bloss ein Blick in ihre Augen, genügen, um sie als Tagesbegleitung dabeizuhaben. So liebenswürdig haben wir Hunde nirgends sonst erlebt. Obwohl wir - seit wir Europa im Januar 2021 verlassen haben - beim Wandern praktisch immer von Hunden begleitet werden. Patrick denkt, dass die Hunde uns wegen ihrer selbstauferlegten Mission „Menschen sicher ans Ziel bringen“ folgen. Ich denke, dass sie lieber in menschlicher Begleitung unterwegs sind; sei es aus Freude oder zum Schutz. Langsam wissen wir also, gelassen mit Hunden umzugehen. Weil dies aber - jedenfalls für mich - nicht immer so war, erzähle ich meiner Freundin diese Geschichte:


Es ist noch früh, als ich im kleinen Hotel eines norwegischen Pensionärs an der Westküste Phukets frühstücke. Hier möchte ich mir für die kommenden Tage eine Pause und ein wenig Luxus gönnen. Am Tag zuvor habe ich mir den Strand und die Ortschaft angeschaut - und bin ein wenig irritiert: Phuket habe ich mir so ganz anders vorgestellt. Anstatt chinesische Reisegruppen und russischer Pauschaltourismus, anstatt Strandliegenlandschaften und betrunkene Sextouristen breitete sich vor mir ein kleines Paradies aus. Ein ruhiger, sauberer Sandstrand, eine verschlafene Hauptstrasse, wenig besuchte Restaurants, kaum Nachtleben. Es ist Anfang September 2022 - Nebensaison in Thailand - und zudem zählte das Land wahrscheinlich noch nie so wenige Touristen seit eine Einreise wieder möglich ist. Als wir vor wenigen Tagen über die Grenze fuhren, kamen wir aus dem Staunen nicht mehr raus: Wir haben uns in Strände, Strassenmärkte, Longtailboote und die schroffen Kalksteinfelsen der Andamanensee verliebt. Patrick ist in Railay geblieben. Sein beim Töffliunfall verletztes Knie hat sich stark entzündet; auch er braucht Ruhe.

Als ich wenig später die steile Strasse vom Kata Noi zum Karon Viewpoint hinaufgehe, platze ich beinahe vor Glück. Soeben konnte ich einen Elefanten beim Frühstück beobachten. Die Sonne scheint mir ins Gesicht und es liegen wunderbare Strandtage vor mir. Der Aussichtspunkt bietet einen fantastischen Blick auf die zerklüfteten Buchten mit den weissen Sandstränden und dem türkisblauen Meer, und auf das saftige Grün des Dschungels. Ich wische mir den Schweiss von der Stirn und als ich mich sattgesehen habe, trete ich den Rückweg an. Da ich keine Lust habe, abermals auf der Strasse zu gehen, schlage ich den Weg ein, der durch die Bananenplantagen zurück ans Meer führt. Ich irre ein wenig durch die Plantagen und bin froh, als ich eine geteerte Strasse vor mir sehe. „Das muss wohl der richtige…“, schiesst es mir noch durch den Kopf, bevor ich ein wütendes Knurren höre. Als ich mich umdrehe, sehe ich, wie gut fünfzig Meter vor mir ein fuchsteufelswildes Bündel aus aufgerissenen Augen und fletschenden Zähnen auf mich zugeschossen kommt. „Scheisse, jetzt bin ich dran; der kriegt mich!“ Panik steigt in mir hoch, intuitiv schaue ich mich nach Bäumen um, und im nächsten Augenblick will ich losrennen. Doch dann halte ich inne. „Du musst ihnen zeigen, dass du stärker bist“, höre ich Patricks Stimme. Und dann sind sie plötzlich da: all die Erinnerungen an Begegnungen mit aggressiven Hunden. Wie ich mich jeweils hinter Patrick versteckte und wie wenig das half - ja, im Gegenteil - je mehr ich mich duckte, desto grösser wurde ihr Interesse an mir. „Wenn du ihnen zeigst, wer der Boss ist, kriegen sie Angst und rennen davon“, sagte Patrick stets, bevor er sich aufbäumte und direkt auf die wütenden Hunde zuging. Dann sehe ich Einheimische in Gran Canaria, Süd- und Zentralamerika und in Indonesien. Wie sie sich ducken. Aber nicht, um sich zu verstecken, sondern um etwas aufzuheben. Steine! Sie alle werfen Steine, um die Hunde zu verjagen! Blitzschnell hebe ich einen Stein auf, beginne laut zu rufen und zu schreien und mache einige Schritte in Richtung des Hundes, der schon gefährlich nahe ist. Als ich den Stein werfe, hat sich der Hund bereits umgedreht - so plötzlich wie er losgeschossen kam - zieht den Schwanz ein und rennt lautlos davon. Ungläubig stehe ich da: „Das ist alles?“ Als ich den Rückweg antrete - zugegebenermassen mit weichen Knien - muss ich grinsen. Einerseits steigt Stolz in mir hoch, dass ich die Situation ganz gut hingekriegt habe. Andererseits muss ich laut loslachen, wie lächerlich einfach sich Hunde einschüchtern lassen.

Seit dieser Begegnung habe ich meine Angst zu wütenden Hunden überwunden. Oftmals reicht es schon, sich nach einem Stein hinabzubeugen und sie treten den Rückzug an; ganz egal, ob sich tatsächlich ein Stein in greifbarer Nähe befindet oder nicht. Dabei ist mir bewusst, dass die eigentliche Problematik darin liegt, dass Hunde von Menschen schlecht behandelt werden; und nicht umgekehrt. Nur nützt mir dieses Wissen im Auge des Sturms reichlich wenig. Dann bleibt mir nur die Möglichkeit, so zu tun, als sei ich stärker. „Das ist so widernatürlich für mich“, erkläre ich Patrick, als wir am Abend telefonieren und ich ihm vom Erlebten erzähle. „Ich kann und will Tiere nicht dominieren!“ „Deswegen bist du ja auch die schlechteste Reiterin, die ich kenne“, höre ich Patrick am anderen Ende der Leitung. Dann prusten wir beide los, weil wir uns den Ausritt im brasilianischen Pantanal in Erinnerung rufen. Ich kriegte das liebste, gehorsamste Pferd und brachte es nicht fertig, es zum Laufen zu bringen. „Du musst ihm die Fersen in die Seiten drücken!“, ermahnte mich Alex, der Ranger, immer wieder. „Das tu‘ ich doch“, entgegnete ich, während mein Pferd friedlich graste. „Fester und viel bestimmter!“ Irgendwann gab Alex auf. „Du bist eben eine typische Katze“, versucht es Patrick nochmals, als wir uns von unserem Lachanfall erholt haben. „Die dominieren nicht und lassen sich nicht unterwerfen. Das ist ihnen zu dumm.“ Wie recht er doch hat.


Danke, Marina, meine Freundin seit Primarschulzeiten, dass unsere Beziehung mitnichten auf Dominanz und Hierarchie gründet. Danke, dass wir zusammen schon so manchen wütenden Hund bezwungen haben; war er auf dem Pausenplatz, im Ausgang, am häufigsten wohl aber in unserem eigenen Inneren. Danke für deine Überlebensratschläge, seien sie aus Blauring-Zeiten oder aus deiner beruflichen Professionalität. Danke für deinen Mut, meine schlafenden Hunde zu wecken, um zu verstehen, wer ich wirklich bin. Und danke, dass du schon vor 20 Jahren von Thailand geschwärmt hast, als wir den Namen Gioia lediglich riefen, um meine Katze anzulocken. Weil wir beide noch keine Ahnung davon hatten, dass du eines Tages Mama meines tollsten Gottenmädchen wirst, das denselben Namen tragen wird.



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